Natalies Diary
Abschied Lyrik Gedicht Natalie Barth
Lyrik

Abschied

Es gab eine Zeit,
da hast du mich im Arm gehalten,
warm gehalten.

Ich war Dein Baby,
Dein Kind,
Deine erste Tochter.

Du warst selbst noch ein halbes Kind, 
als Du mich geboren hast. 
Zu jung für so viel Verantwortung.

Ich weiss, 
dass Du Dir manchmal gewünscht hast,
es wäre nicht so gekommen.
Ich hab die Sehnsucht in Deinen Augen gesehen.
Die Sehnsucht nach mehr im Leben
Als einfach nur Mutter zu sein. 

Ich vergebe Dir für das was war,
Für die letzten Jahre,
in denen Du für Dich leben wolltest,
für Deine Träume,
und es trotzdem nicht wirklich getan hast.

Du konntest Deine Mutter nicht loslassen.
Geschweige denn Deinen Gott.

Deine Tochter dagegen schon.
Du hast mich eingetauscht,
gegen das trügerische Gefühl,
das Richtige zu tun, 
nur dem Gott zu gehorchen,
der jedoch eigentlich nie für Dich da war.

Mit dem Wissen, 
für Dich eine „persona non grata“ zu sein,
weil ich die Religion verlassen habe,
hab ich gelernt zu leben.

Es tat weh, sehr weh,
als Du mich fortgestossen hast, 
mich aus Deinem Leben entfernt hast,
wie eine lästige Zecke.

Der Schmerz war die Hölle für mich,
aber mit der Zeit wurde es leichter.
Ich konnte Dich Stück für Stück loslassen,
wenn auch nicht ganz.

Jetzt, wo Du diese Welt plötzlich verlassen hast, 
ist der Schmerz wieder da.
Er pocht, 
er zerreisst, 
er schlägt wild um sich.
Er versteht den Tod noch nicht ganz,
will die Endlichkeit nicht wahrhaben.
Will Dich zurück,
will Dich in den Arm nehmen,
Dich liebevoll drücken.
Will Dich spüren, 
Dich riechen,
Dich atmen hören.
Will Deine Hand in meiner Hand, 
liebevoll drückend und streichelnd,
so wie Du es oft gemacht hast,
an meinem Bett,
kurz vor dem Schlafen,
als ich noch ein kleines Kind war.

Ich will Dir noch so vieles sagen,
so vieles zeigen, 
all das, was ich in den letzten Jahren nicht konnte,
weil ich nicht mehr zu Deinem Leben gehörte.

Es gibt so viele Momente, 
die ich so gerne mit Dir geteilt hätte,
aber ich durfte es nicht mehr.

Es zerreisst mir das Herz,
an Dich zu denken, 
an Dein Lachen,
Deine Haut,
Deinen Geruch,
Deine Stimme,
Deine Augen.
Und gleichzeitig zu wissen, 
diese Gelegenheiten kommen nicht wieder.

Ich hoffe,
ich kann Dich irgendwann in Frieden gehen lassen.
Ich hoffe,
ich kann Dir vollständig verzeihen.
Ich hab es immer wieder versucht,
hab es nie ganz geschafft.

Aber ich weiss auch, 
dass ich Deine Vergebung brauche.
Auch ich hab Dir wehgetan,
Dich nicht verstanden,
Dich oft nicht richtig behandelt.
Du hast Liebe und Verständnis verdient
Und ich hab so vieles falsch gemacht.

Verzeih mir.
Ich verzeih Dir.
Danke.
Für alles.

Geh in Frieden und finde die Ruhe,
die Du Dir immer gewünscht hast.
Diese Ruhe in Dir.
Ich schick Dich ins Licht.
Und selbst bleib ich hier.

Das ist der Preis der Freiheit, den ein Aussteiger bezahlen muss: Einen Menschen, den man liebt zweimal gehen zu lassen – ohne Abschied.

Einmal, wenn der Kontaktabbruch stattfindet, weil man die Religion verlassen hat. Was sich wie Sterben anfühlt. Und einmal, wenn der Mensch tatsächlich stirbt und eine Hoffnung auf Versöhnung endgültig vorbei ist.

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