Natalies Diary
Natalie Barth diary
Gedanken,  Gefühle

Wie ticken wir eigentlich?

„Mich überkommt ein Schamgefühl der leistungsschwache Loser zu sein, der ich offensichtlich bin.“ Diesen Satz von einem Gegenüber formuliert, den man für ausgesprochen talentiert und grossartig hält, tat mir richtig weh. Und im selben Moment wusste ich, dass dieser Satz auch von mir selbst stammen könnte, ganz besonders in den Augenblicken, wo ich einen Anspruch an mich habe, den ich offensichtlich nicht erfüllen kann.

Ich schreibe nun seit einigen Wochen an meinem Buch. Immer mal wieder. An manchen Tagen gar nicht, weil ich wie blockiert bin und mir keine Wörter, Sätze mehr einfallen. Dafür fallen mir andere Sätze ein: „Du kriegst das Buch nie fertig.“ „Wenn doch, will Dein Buch eh keiner lesen.“ „Jetzt kriegst Du nicht mal hin jeden Tag einen einzigen Satz für Dein Buch zu schreiben. Das ist doch wirklcih nicht zu viel verlangt.“ „Gestern wolltest Du coachen, heute willst Du ein Buch schreiben und morgen wieder was Neues? Du bist zu unbeständig und undiszipliniert.“

Mit solchen “mutmachenden” Sätzen im Kopf lässt sich selbst mit der tollsten Begabung kein Buch mehr zu Papier bringen. Das ist mir gerade in diesem Moment so klar wie nichts anderes. Und genau jetzt weiss ich, was mir im Weg steht: Ich, einfach nur Ich. Nicht meine finanziellen Lebensumstände, nicht meine familiäre Situation, nicht mein Gesundheitszustand, nichts im Aussen. All das macht es oft etwas schwerer oder leichter. Aber im Grunde kann mich ncihts aufhalten, wenn ich meine eigenen Gedanken im Griff habe und solche Sätze wie die obigen im Keim ersticke, vielleicht sogar symbolisch rufe „Geh weg, führe mich nicht in Versuchung!“.

Ich kenne mich glücklicherweise heute mehr als je zuvor. Und doch immernoch zu wenig.

Ich weiss, dass dieses Leistungsdenken, das mir sowohl von der Gesellschaft, in der wir Leben vorgelebt wird, als auch von der Sekte, in der ich aufwuchs eingetrichtert wurde, nicht MEIN Denken ist und mir in keinster Weise entspricht. Ich wage zu bezweifeln, ob dies der Spezies Mensch im Ganzen überhaupt entspricht oder nicht eher das Menschsein abtrainiert.

Ich kann nicht 100% und 24 Stunden am Tag leistungsfähig sein. Ich würde sogar sagen, dass ich zu über 75% des Tages nicht gerade zum „Leistung erbringen“ und „Produktiv sein“ tendiere. Es kommt natürlich aber auch ganz darauf an, was ich als Leistung definiere. Manchmal ist allein das Duschen und für den Tag fertig machen für mich eine Leistung. Oder mit meinen Hunden spazieren gehen. An anderen Tagen geschieht dies ganz von selbst und ohne grosse Anstrengung. 

Wenn ich allerdings an das denke, was auch von der übrigen Menschheit eher als Produktivität bezeichnet wird, dann stelle ich bei mir doch hin und wieder sehr grosse Defizite fest, die mich dann im Vergleich wieder auf einen erbärmlichen Loser reduzieren. Denn meine Phasen der Stille, der Regeneration, des Nichtstuns wären überdimensional ausgeprägt im Gegensatz zu den Zeiten der Leistung. Ich sage bewusst „wären“. Oftmals gönne ich sie mir nicht oder habe währenddessen ich das süsse Nichtstun geniessen könnte, ein so schlechtes Gewissen, dass ich in dieser Zeit überhaupt nicht regenerieren kann. Folglich fehlt mir im Anschluss aber auch wieder die Kraft, die Energie für das, was ich eigentlich gerne umsetzen, erreichen möchte.

Soweit kenne ich mich nun also. Ich weiss dass ich so ticke – inzwischen, nach vielen Jahren der Selbstkasteiung und qualvollen mentalen Peitschenhieben. 

Kreativität ist keinen Regeln unterworfen, nur dem Freiheitsgedanken.

Sie sucht sich ihren Weg wie ein Fluss, ist nicht fassbar, zerrinnt in den Händen, wenn man sie festhalten möchte.

Sie ist wie ein Schmetterling, lässt sich nur dort nieder, wo Freiheit und Stille herrscht und das Jagen aufgehört hat. Willst Du sie einfangen, fliegt sie davon. 

Mit dem Leistungs- und Produktivitätsgedanken, den wir in unserer Gesellschaft als den erstrebenswertesten Lebensweg ansehen, hat sie soviel gemeinsam, wie eine Katze mit einem Haifisch. 

Ich wünsche mir heute, dass die Momente, in denen mir das so wie jetzt klar ist immer häufiger auftauchen, mich immer mehr zu dem zurückführen, was ich im Grunde bin und wie ich ticke. 

Ich wünsche mir, dass das Jagen nach dem besten, glücklichsten, produktivsten, sinnvollsten, richtigsten, erfolgreichsten Tag, ja sogar Leben ganz aufhört und mir in jeder Sekunde klar ist, dass ich Talente habe, die nur in Freiheit, ohne Beurteilung meines Menschseins, meiner Produktivität und meines Wertes für die Gesellschaft ausgelebt werden können. 

Aber schon allein dieser Gedanke, dass ich nie wieder zurückfalle in solch destruktive Gedanken über mich und meine Leistung, ist bereits ein Teil des Produktivitätsdenkens und der gnadenlosen Selbstoptimierung. 

Und so stelle ich gerade fest, dass genau diese negative Beurteilung, die als Spiegel in einer anderen Person daherkam, mich dazu brachte diesen Artikel zu schreiben, kreativ zu sein.

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