Natalies Diary
Verliebt Zeugen Jehovas
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Zeugen Jehovas und Teenager-Verliebtheit

– Gefühle, durch die destruktive Gruppen wie die Zeugen Jehovas erst bestehen können – auch das letzte Fünkchen Selbstliebe austrieben. Und wie ich heute damit umgehe:

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Tagebucheintrag vom 3.7.1992:

«Im Schwimmbad war heute auch der Alexander T. da. Er ist aber erst später gekommen. Davor hab ich immer Ausschau gehalten und gebibbert ob er kommt. Und dann war er plötzlich da. Er sprang ein paar mal vom 1er-Sprungbrett und kam dann zu der Bank, auf der ich sass, spritzte mich ein bischen mit Wasser voll. Dann hat er sich weiter weg auf den Boden gelegt und wir haben uns eine ganze Zeitlang die Zunge rausgestreckt. Plötzlich fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Da hab ich dann weggeschaut, weil….

….man weiss ja, was das bedeutet und das hat mich total verlegen gemacht. Zum Schluss gingen Tanja und  ich zu den Fahrrädern. Dort hat er gewartet und «Hallo» gesagt und gefragt, ob ich auch nach Bobingen muss. Übrigens: Am Sonntag geht er vielleicht auch ins Bad.

Ich glaube, ich bin verliebt.»

Tagebucheintrag vom 12.7.1992:

«Andrea hat gerade angerufen und gesagt, dass Flo dem Alexander T. sagte, die Freundin von Andrea (er wusste meinen Namen nicht mehr) würde ihn mögen. Daraufhin sagte Alexander: «Die musst Du mir mal zeigen.» und Flo will beim nächsten Freibad-Besuch genau das tun. So was Bescheuertes!! Wenn Alexander jetzt herkommt und fragt, ob ich mit ihm gehen will…? Das will ich doch aber nicht. Ich werde nicht mit einem Weltlichen gehen. Jetzt muss ich Alexander erklären, warum und so. Dem Flo sage ich nichts mehr!!! Ich sage dann dem Alexander am besten: «Ich mag Dich schon. Aber ich will und kann nicht mit Dir gehen. Erstens: ich kenne Dich kaum. Und zweitens würden das meine Eltern nicht so wollen. Ausserdem will ich, dass Du weisst, dass ich eine Zeugin Jehovas bin und ich schäme mich dafür nicht. Und ich glaube ich bin zu jung, um mit einem zu gehen» Den letzten Satz lass ich lieber weg, weil ich schon ganz gern mit einem gehen will, aber er muss Zeuge Jehovas sein.

Ach, das ist alles so beschissen.»

Nur “im Herrn” heiraten – Die Doktrin der Zeugen Jehovas

Dieses «Ich bin aber eine Zeugin Jehovas» permanent im Kopf habend, glich ich jede Situation damit ab, ob das noch «moralisch» zulässig war, was ich tat oder nicht. Ich wusste mit 14 sehr genau, dass ich keinen «weltlichen» (alle Nicht-Zeugen Jehovas) – Freund haben durfte. 

Warum eigentlich nicht? Weil in der Bibel steht, man solle sich nicht in ein «ungleiches Joch mit Ungläubigen spannen lassen». Und man solle nur «im Herrn» heiraten. Ein Weltlicher würde einen ausserdem nur von der Freundschaft mit Gott trennen und somit das ewige Leben kosten. 

Man kann sich also die Gedankenkette dieser damals 14-Jährigen folgendermassen vorstellen:

«Der Typ ist süss. Ich gefalle ihm auch. Ich würde gerne mit ihm gehen. Oh, halt, aber das geht nicht. Denn erstens soll man erst mit jemandem gehen, wenn man dann auch heiraten kann. Das heisst man muss alt genug dafür sein. Das bin ich gar nicht. Und zweitens, der ist ja gar kein Zeuge Jehovas. Also geht das ja nicht mal, wenn ich alt genug bin. Scheisse nochmal.»

Der Teufelskreis und immer das gleiche Spiel

In diese Situation sollte ich noch öfter in meinem Leben geraten. Es war immer das gleiche Spiel. Ich mochte die «weltlichen» Jungs. Die waren so frech und unkompliziert. Die zeigten einem, dass sie Interesse hatten. Die mussten nicht so viel nachdenken, bevor sie was taten. 

Aber wenn es dann ernst zu werden «drohte», distanzierte ich mich wieder. 

Wegen Gott. Wegen diesem Jehova und seinen Regeln, die mein ganzes Leben beherrschten.

Ich muss zugeben, dass ich in späteren Jahren dann doch immer «unvorsichtiger» wurde und zeitweise ein Doppelleben führte – weil die «Sünde» einfach zu gut schmeckte, als dass man immer nur NEIN sagen konnte. 

Und genau das führte mich in einen fürchterlichen, Jahre andauernden Teufelskreis aus: Verlieben, Sündigen, schlechtem Gewissen, den Ältesten der Versammlung alles beichten, Busse tun und mich besonders anstrengen und hart rannehmen (Disziplin und Selbstbeherrschung). Nur um dann, weil mich diese Selbstbeherrschung dermassen ankotzte und mir jegliche Lebensfreude raubte, wieder mit dem Verlieben und Sündigen von vorne anzufangen.

So etwas ist zermürbend. So etwas zerstört eine gesunde Entwicklung. Schuld, schlechtes Gewissen, Scham und Angst, Gefühle, mit denen destruktive Gruppen wie die Zeugen Jehovas erst bestehen, können einer Kinder- und Erwachsenenseele auch das letzte Fünkchen Selbstachtung, Selbstliebe und Selbstbewusstsein austreiben.

Was ich gerne anders erlebt hätte als Teenager bei den Zeugen Jehovas

Manchmal werde ich gefragt, ob ich irgendetwas heute noch bereue, vermisse, anders gemacht oder erlebt hätte, was meine Zeugen Jehovas – Zeit betrifft. 

Mir würde nicht viel einfallen, denn was ich erlebte, hat mich zu der Frau gemacht, die ich jetzt bin und ich kann es sowieso nicht rückgängig machen. Vieles belastet mich heute einfach nicht mehr.

Über eines jedoch denke ich sehr oft nach, besonders wenn ich mich mit den alten Tagebüchern und den Konflikten beschäftigte, durch die ich durchging.

Ich hätte gerne meine erste Verliebtheit unbeschwert und ohne ständigem Gedankenkarussell genossen. Ich hätte auch gerne die ersten sexuellen Erfahrungen mit mir selbst und auch mit einer anderen Person einfach so, ohne permanent diesen Gott und ein schlechtes Gewissen im Rücken zu haben, erlebt.

Und ich empfinde Bedauern, wenn ich sehe, wieviele junge Menschen sich dort noch heute – genau wie ich – krampfhaft versuchen an Regeln zu halten, die der Natur total widersprechen und sie ihre Unbeschwertheit kosten wird.

Verliebt Zeugen Jehovas

Schuld, Scham und ein schlechtes Gewissen

Diese Schuld, Scham und das schlechte Gewissen in Bezug auf meinen Körper, Freundschaft mit dem anderen Geschlecht und Sexualität haben mich mein ganzes bisheriges Leben geprägt und erst im Laufe der letzten etwa 3 Jahre lernte ich einen entspannten, liebevollen und versöhnlichen Umgang mit dem Thema.

Dafür jedoch, musste ich tatsächlich Abstand von dieser von Regeln und Vorschriften geprägten Gruppe der Zeugen Jehovas und auch von diesem Gott haben. Ich musste mich selbst kennenlernen – abseits von Moral, Bibel, Religion und «wie Dinge zu sein haben oder richtig sind». 

Die Suche nach mir – Abseits der Zeugen Jehovas

Was empfinde ich? Warum empfinde ich so? Was will ich? Was will ich nicht? Was brauche ich? Was macht mir Freude? Was begeistert mich regelrecht? Wo liegen meine Talente und Begabungen? Wie denke ich über Dinge, die mir nun keiner mehr vorschreibt? Wer bin ich jenseits von Leistung und Darstellung nach aussen? Wie kann ich mich selbst einfach so annehmen, wie ich nun mal bin, ohne mich ständig verbessern und optimieren zu müssen?

All diese Fragen stellte ich mir immer wieder und in den unterschiedlichsten Lebenssituationen.

Dieses “Suchen nach sich selbst” kann allerdings auch zu einer Obsession werden, wenn man sein ganzes Leben nur darauf ausrichtet und erwartet, etwas bestimmtes zu finden.

Heute versuche ich eine gesunde Balance zu finden: Mal suche und erforsche ich – mal lasse ich alles SO sein und GUT sein, wie es einfach ist. 

Und wie ICH bin. Denn mein Wert als Mensch und meine Zufriedenheit hängen zum Glück nicht davon ab, ob ich mich denn nun wirklich gefunden habe oder nicht.

Diesen Druck habe ich endlich nicht mehr.

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2 Comments

  • Dieter Hornemann

    Ja, jeder Mensch braucht auch körperliche Liebe. Sonst wird jeder Mensch krank.
    Besonders Zeuginnen Jehovas können glücklich werden, wenn sie ihre Scham überwinden, weil es gerade für sie ein ungewohnter und deshalb extremer Lustreiz ist, wenn sie sich hingeben.

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