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Glaubenssätze
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Die Sekte und limitierende Glaubenssätze

DIESER ARTIKEL FÜR DICH GELESEN

Auf Instagram bekam ich am «Frag mich alles»-Sonntag eine sehr gute Frage gestellt. Sie kam von einer ehemaligen Zeugin Jehovas und ging um das Auflösen ihrer Glaubenssätze und Blockaden, die aus der Kindheit stammen könnten. Die Frage ist sehr spannend, mir fiel auch gleich was dazu ein und daran möchte ich Euch alle teilhalben lassen.

Was sind Glaubenssätze?

Es sind Überzeugungen, Meinungen und Einstellungen zum Leben, zur eigenen Person, zu verschiedensten Themen. Wir halten diese für wahr, unabänderlich und stellen sie nicht mehr in Frage.

Ein Beispiel: Einem Kind, das Spass am Singen hatte und ständig lauthals losträllerte – in den schrägsten Tönen – , wurde immer wieder gesagt: «Deine Stimme ist schrecklich. Ein Sänger wirst Du nie werden. Mach was, was Du kannst. Verschone uns bitte mit diesem Geplärre.» Irgendwann wird das Kind das selbst glauben und verinnerlicht den Satz «Ich kann nicht singen und werde es niemals können.» Obwohl es so sehr Spass am Singen hatte, hört es auf, weil es auf soviel Ablehnung damit stösst. Schwups – ein unabänderlicher Glaubenssatz entstand und die Welt wurde um ein kreatives, freudiges Wesen ärmer, das durch jahrelange Übung vielleicht zu einem grossartigen Künstler geworden wäre.

Kind Glaubenssätze

Einer meiner eingefleischten Glaubenssätze

Einer meiner seit Kindheit sehr eingefleischten Glaubenssätze ist zum Beispiel «Ich bin nicht gut genug. Ich muss mich immer wieder beweisen.» Diese Einstellung hat einen manchmal sehr ungesunden Perfektionismus zur Folge und verhindert, dass ich mich an meinen Erfolgen wirklich freuen kann. Seit ich mir klar wurde, dass ich diesen Glaubenssatz mit mir rumschleppe, bin ich sehr viel bewusster. Mir fällt schneller auf, wann ich wieder in die Perfektionismusfalle tappe und ich verfalle nicht mehr so leicht in ungesunde Selbstkritik, die mir die Lebensfreude nimmt.

Es lohnt sich also, die eigenen Überzeugungen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu hinterfragen, ob sie wirklich wahr sind oder vielleicht genau das Gegenteil auch wahr sein könnte.

Warum viele Glaubenssätze aus der Sektenvergangenheit kamen

Jesus Erlösung Blockade

Ich weiss heute, warum ich diesen Glaubenssatz in mir trage. Viele Faktoren trugen dazu bei. Ganz besonders aber die Sekte, in der ich aufwuchs. Denn von Klein auf wurde mir beigebracht, dass ich als Mensch fehlerhaft und unvollkommen bin. Dass ich jeden Tag sündige und dringend die Vergebung meines Gottes brauche. Und dass Gott sogar seinen eigenen Sohn an ein Stück Holz nageln und qualvoll verrecken liess, damit ich gerettet werden kann, weil ich so dermassen sündig bin.

Es wurde permanent dazu aufgefordert, die «neue Persönlichkeit» anzuziehen. Die schlechten Eigenschaften und Taten – «die Werke des Fleisches» – sollte man dringendst ablegen. Sie waren so schlimm, dass man nicht in das Königreich Gottes eingehen konnte, wenn man diese verübte.

Dazu gehörten zum Beispiel Neid, Eifersucht, Trinkgelage, Sex vor der Ehe und «zügelloser Wandel». Unter dem letzten Begriff verstanden die Zeugen Jehovas alles, was irgendwie in ihren Augen «schamlos» oder «unanständig» war, wie beispielsweise «Mangel an Zurückhaltung oder Selbstbeherrschung: eine lose Zunge». Und das hätte zu einem Ausschluss führen können: «In der Tat, ein zügelloser Wandel führte zum Ausschluß aus Jehovas Organisation bei denen, die in sich ein Verlangen nach unrechten Dingen aufkommen ließen.» (Quelle: w68 1. 11. S. 666-671)

Mich an die Regeln halten, war überlebenswichtig

“Ausschluss” bedeutet bei den Zeugen Jehovas kompletter Kontaktabbruch mit allen Menschen, die das soziale Umfeld bilden. Selbst wenn jemand heute in der Corona – Krise unter Isolation leidet, ist das nur ein lächerlicher Abklatsch von dem, was es bedeutet, als Zeuge Jehovas ausgeschlossen und sozial geächtet zu werden.

Es war also überlebenswichtig, dass man sich diese «neue Persönlichkeit» überstülpt – ob die passte oder nicht. ICH, so wie ich war – auch mal mit einem losen Mundwerk – war einfach nicht okay so, nicht gut genug.

Die Entdeckung der eigenen Glaubenssätze und das “Herumdoktern”

Seit ich bei den Zeugen Jehovas ausstieg, habe ich eine spannende Entdeckungsreise zu meiner eigentlichen, wahren inneren Natur hinter mir. Und diese Reise dauert an. Wahrscheinlich mein Leben lang.

Ich finde, dass diese Tatsache JEDEM bewusst werden sollte, der sich an das Thema Glaubenssätze und Persönlichkeitsentwicklung im Allgemeinen heranwagt. Wir verlangen und erwarten oft zuviel von uns selbst. Denn wir glauben, wenn wir nur diesen einen Glaubenssatz oder diese Blockade auflösen, führen wir ein befreites, glückliches und zufriedenes Leben. Wir gehen das Thema an wie die Reparatur einer Maschine: «Aha, da ist ein Defekt, ein falscher Glaubenssatz. Eliminieren! Und damit wieder besser funktionieren.»

Glaubenssatz Verzweiflung

So funktioniert es leider überhaupt nicht, auch wenn einem das von allen möglichen Persönlichkeitsgurus, die ihre Methoden als ultimative Lösung anpreisen, immer wieder glauben gemacht werden soll. Das Gemeine bei dieser Herangehensweise und dem ewigen “Herumgedoktere” an uns: Es macht uns alles andere als zufrieden. Denn wenn wir nach ein paar Monaten (nach vermeintlicher Auflösung des Glaubenssatzes) plötzlich wieder im gleichen Fahrwasser landen – wieder nicht rundum glücklich, erfolgreich und zufrieden sind – dann fühlen wir uns oftmals schuldig. Und suchen das nächste Hilfsmittel, das uns von unseren Problemen befreit.

Diese Suche kann zur Sucht werden und Süchte machen bekanntlich nicht zufrieden sondern unzufrieden, wann immer die Sucht nicht befriedigt wird.

Glück und Zufriedenheit sind nicht abhängig vom Auflösen der Glaubenssätze

Also, es ist schön, wichtig und sehr hilfreich alte Glaubenssätze zu entdecken und zu hinterfragen. Nur dann haben wir die Chance für uns eine neue Wahrheit zu kreieren.

Aber machen wir bitte nicht unser Glück und unsere Zufriedenheit und auf keinen Fall unseren Erfolg davon abhängig. Manchmal hilft es schon allein, den Glaubenssatz zu entdecken und zu akzeptieren, dass wir ihn haben. Ohne ihn verändern zu wollen.

Manche Sätze sind so hartnäckig und in unserem Organismus festsitzend, dass es Jahre braucht, um nicht nur verstandes- sondern auch gefühlsmässig zu kapieren, dass sie eine Lüge sind. Geben wir uns die Zeit und geniessen währenddessen, was wir sind und haben.

Zufriedenheit entsteht im JETZT. Nicht «wenn ich dies und das an mir geändert habe». 

Genuss jetzt Glaubenssätze

Die Frage der Ex – Zeugin Jehovas

Und nun, nach diesem kleinen Exkurs, komme ich zur Frage dieser Ex-Zeugin Jehovas. Sie wollte wissen, ob ihre Blockade mit dem Aufwachsen als Zeuge Jehovas zu tun haben kann. Als Künstlerin (die sie ist) wollte sie sich gerne selbständig machen und erfolgreich sein. Aber sie fühlt sich blockiert, weil sie tief im Inneren glaubt, dass sie eher etwas «sinnvolles» machen sollte. Und Kunst wäre ja nun gar nicht sinnvoll, sondern lediglich ein nettes Hobby.

Ersteinmal finde ich es schön und wertvoll, dass sie in die kritische Fragestellung ging und merkte, dass sie sich eventuell selbst durch falsche Glaubenssätze limitiert. Und einen weiteren wichtigen Schritt hat sie ebenfalls allein vollzogen: Das Analysieren, mit was diese Limitierung zusammenhängen könnte. Ja, wir können das! Wir können auf vieles selbst kommen und brauchen nicht für jeden Handstreich einen Coach, Therapeuten oder Berater. Jeder Mensch verfügt über eine Menge Selbstkompetenz und Lösungsansätze.

Künstlerin Glaubenssätze

Manchmal allerdings tut es gut und es gibt Aha-Effekte und neue Impulse, wenn jemand von Aussen nochmal eine andere Perspektive mit reingibt und so zum Nachdenken anregt. (Ich will ja die Sinnhaftigkeit meines Berufes nicht komplett in Frage stellen :-)).

Und darum hier ein paar Gedanken, die ich mir zu dem Thema “limitierende Glaubenssätze in Verbindung mit dem Aufwachsen als Zeuge Jehovas” gemacht habe.

Bombardierung mit limitierenden Glaubenssätzen – Wenn man als Zeuge Jehovas aufwächst

«Folglich können wir unseren wahren Lebenszweck nur finden und verfolgen, wenn wir im Einklang mit dem Vorhaben des Schöpfers leben»

Dieser Satz ist ein Zentral-Dogma der Sekte. Es ist in erster Linie wichtig, was der Schöpfer will und nur das bestimmt den richtigen Lebenszweck. Alles, was Spass macht und Zeit kostet, muss in diesem Leben zugunsten des Schöpfers zurückgestellt werden. Denn das “wirkliche” Leben kommt erst später.

Die Folge: Wenn jemand ein Zeuge Jehovas wurde, bekam das Leben eine komplett andere Richtung. Karrieren wurden aufgegeben um mehr predigen zu können. Ich hab mal ein Sammelsurium von aufgegeben Karrieren zugunsten des “Zeuge Jehovas sein” erstellt. Es ist traurig, wie das Leben von professionellen Baletttänzerinnen und -tänzer (diese Karriere-Niederlegung habe ich überdimensional oft in den Erfahrungsberichten der Wachtturm – Literatur gefunden), Footballstars, Fotomodels, Sängern, Konzertpianisten, usw..  auf Eis gelegt wurde. Die Gitarre wurde niedergelegt, der Boxring verlassen, die Manager-Position aufgegeben.

So wurde das schlechte Bild einer Karriere kreiert

«David kennen wir nicht in erster Linie als Militärbefehlshaber oder als Musiker und Komponisten, sondern als einen Mann, der ‘Gottes Herzen angenehm war’ (1. Samuel 13:14). Daniel ist für uns kein babylonischer Regierungsbeamter, sondern ein treuer Prophet Jehovas; Esther keine Perserkönigin, sondern eine vorbildliche, mutige, glaubensstarke Frau; Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes sind für uns keine Fischfangexperten, sondern Apostel Jesu… (Quelle: https://wol.jw.org/de/wol/d/r10/lp-x/2007724?q=sinnvolles+leben&p=par)

Also im Klartext:

  • David war zwar Musiker und Komponist, aber das war lediglich ein nettes Hobby. 
  • «Kämpfe gegen Dein verräterisches Herz» statt «Hör drauf, was Du im Herzen fühlst und wirklich willst». 

Die Folgen der Belehrung von klein auf

Es gäbe unzählige weitere Phrasen und Dogmen, die uns von klein auf eingetrichtert wurden. Immer mit dem Ziel, unsere Zeit, Kraft, das Geld für diese Organisation einzusetzen. Erfolg haben? Karriere machen? Etwas tun, das man wirklich liebt? Auf keinen Fall. Erfolgreich bist Du nur dann, wenn Gott Dich liebt. Karriere machst Du am besten innerhalb der Organsation als Pionier oder Ältester. Und was Du wirklich liebst, ist nun mal einfach das Predigen von Haus zu Haus. 

Es tut gut, all das zu verstehen, hinter das zu blicken und es in Frage zu stellen, was uns da an seelischer Gewalt (nichts anderes ist es) angetan wurde. Und es hilft, verständnisvoller mit uns selbst zu werden. Auch mal mitfühlend mit uns selbst zu reagieren, wenn wir die Dinge nicht so «hinkriegen» im Leben, wie sie sein sollten. Dieses Mitgefühl, diese Selbstliebe und diese Akzeptanz halte ich für die wesentlich wichtigeren Komponenten für Zufriedenheit und Erfolg, als einfach nur sämtliche Glaubenssätze und Blockaden beseitigen zu wollen.

Selbstliebe Glaubenssätze

Die Voraussetzung für Glück, Zufriedenheit und Erfolg

Die Grundvoraussetzung für Erfolg und Zufriedenheit im Leben ist Selbstakzeptanz. Auch die Akzeptanz einer schwierigen Vergangenheit oder von Glaubenssätzen, die uns manchmal die Hölle auf Erden bescheren.

Trotz alldem: Du bist okay, ich bin okay, wir sind okay – so wie wir sind. Wir sind liebenswert, einfach nur weil wir existieren. Und nicht weil oder wenn wir dieses oder jenes erreicht haben.

Über den ewigen Optimierungswahn, habe ich bereits einiges geschrieben (siehe: SELBSTOPTIMIERUNG – DIE NEUE RELIGION oder SELBSTOPTIMIERUNG: GLÜCKLICHER, ERFOLGREICHER, SCHÖNER? oder SELBSTOPTIMIERUNG CIAO – DER WÄÄÄÄH-TAG).

Ich denke aber, da wird natürlicherweise noch vieles folgen. 

Wertvoll
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One Comment

  • Ash-Li

    Ja. Da ist eigentlich alles gesagt, wie ich es auch sehe. Mir ist ganz wichtig, auf mein Herz zu hören. Wenn ich ehrlich bin, fällt mir dann auch immer wieder der Bibelspruch ein, dass “das Herz verräterisch” sei. Das ist für mich Humbug. Ganz im Gegenteil! Ich habe festgestellt, dass dort die Verbindung zu “Gott” ist. Einen direkteren Weg gibt es nicht. Also frage ich mein Herz (“Gott”), was ich tun soll, was mir Spaß macht. Ich fühle die Antwort. “Tu alles, wobei Dein Herz sinGt. Aber wo es sinKt, dass lasse sein.” (Habe ich auch schon mal an anderer Stelle hier geschrieben.)
    Ausserdem: Wenn “Gott” uns “erschaffen” hat, warum sollte das Herz dann verräterisch sein? Es ist seine/ihre Schöpfung. Und wenn “Gott”, sein “Funke”, darin wohnt, warum sollten wir nicht darauf hören? Man kann auch das Ganze um “Gott” und “Schöpfung” weglassen. Aber wir fühlen, was uns Freude macht und was nicht. Und danach sollten wir gehen.
    Mir wurde ja auch immer gesagt, dass ich nichts könne usw. Seit ich mich “befreit” habe (nicht nur von den Zeugen), entwickelte ich immer mehr Selbstbewusstsein. Und ich probierte immer mehr. Und immer mehr gelang mir auch. Wir wissen oft selbst nicht, wozu wir alles fähig sind. Darum: einfach ausprobieren. Das macht Spaß! 🙂

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