Natalies Diary
Gefühle,  Sekte

Was ist eigentlich Liebe?

Die Frage aller Fragen: Was ist Liebe und was ist keine Liebe mehr? Um auf darauf einzugehen, muss ich etwas ausholen…..

Eines Tages werden wir sterben. 

Das ist keine Überraschung. Es ist so selbstverständlich wie die Tatsache, dass die Sonne jeden Morgen von neuem aufgeht und uns den Tag erhellt.

Und doch, wenn der Tod sich naht und tatsächlich eintritt, wenn wir ihn sehen, wie er uns ein geliebtes Wesen nimmt, dann fühlt es sich an, als wäre es das Seltsamste der Welt.

Er starb in meinen Armen, mein treuer vierbeiniger Freund, der mich 8 Jahre lang begleitete. Als es endlich vorbei war und er nicht mehr leiden musste, war ich erleichtert und zugleich so unendlich traurig. Denn all die Geräusche, die er jeden Tag machte und seine ganze Präsenz werde ich nun nie mehr wieder wahrnehmen. 

Wieder wurde mir ein Stück Herz herausgerissen.

Jedes Mal, wenn ein Tier von mir geht, geht auch ein Teil von mir selbst.

Was ist Liebe

Und dann gibt es da noch etwas, das mich genau in diesem Moment in Mark und Bein erschüttert. Das war bereits letztes Jahr so, als wir unseren Kater verloren und es wird mir auch dieses Mal, bei meinem geliebten Hund deutlich bewusst: Ich liebte diese Wesen, egal was sie taten. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, für keinen Grund der Welt, sie zu verstossen und aus meinem Leben zu verbannen.

Bis zum Schluss, jeden einzelnen Atemzug, habe ich meinen Fellfreund begleitet, als es bergab ging. Ich wich ihm kaum noch von der Seite. Er wollte das so. Jedes Mal wenn mein Mann oder ich uns von ihm entfernten, winselte er und entspannte sich erst wieder, als er Kontakt spürte. Er konnte mir in dem Augenblick NICHTS mehr geben, er nahm und brauchte es. Ich vergass mich selbst. Ich vergass all die angeblich «wichtigen» Dinge. Nichts schien mehr von Bedeutung zu sein. 

Diese Liebe, dieses «Da sein» ohne etwas dafür zu verlangen gibt es nicht, wenn man bei den Zeugen Jehovas aufwächst. Alles an Zuneigung ist an Bedingungen geknüpft, sogar die Elternliebe. 

JA, AUCH DIE MUTTERLIEBE!

Ich weine heute nicht nur, weil dieses geliebte Wesen so leiden musste und jetzt nicht mehr in meinem Leben, an meiner Seite ist. Ich weine heute auch, weil ich offensichtlich dazu in der Lage bin, diese Liebe einem Tier zu schenken, während gleichzeitig meine eigene Mutter mich aus ihrem Leben entfernt hat, mich behandelt wie eine Fremde – oder besser noch wie einen Feind, der ihr etwas Schlimmes angetan hat – nur weil ich mich entschieden habe, die Zeugen Jehovas, die Religion, in der ich aufwuchs, ad acta zu legen.

Und nicht nur meine Mutter, auch mein geliebter Vater und meine beiden Schwestern, mit denen ich Jahrzehnte gemeinsam verbrachte, haben diese Verachtung und diesen Liebesentzug gewählt «um mich zur Besinnung zu bringen» und um sich selbst rein zu erhalten und sich nicht von mir kontaminieren zu lassen, wie die Zeugen Jehovas dieses Vorgehen begründen. 

«Ich liebe Dich nur, wenn Du tust, was ich selbst für richtig halte.» 

Wie liebt denn dieser Gott?

Man kann nicht sagen, dass es keine Liebe unter Zeugen Jehovas gibt. Diese Liebe ist nur einfach an Bedingungen geknüpft. Eine einfache Liebe um der Liebe selbst willen, ist nicht möglich. Aber wie soll man auch anders denken, leben und fühlen, wenn sogar der Gott, so wie er von ihnen beschrieben und von ihnen angebetet wird, eine Person nur lieben kann, falls seine Gebote und Anweisungen befolgt werden. 

Dieser Gott ist sogar in der Lage, im Falle der Nicht-Beachtung seiner Vorschriften, dieses Wesen einen Kopf kürzer zu machen und auf ewig zu vernichten.

Ich frage mich sogar, ob man hier tatsächlich von «Liebe» in ihrer reinsten Form und Bedeutung sprechen kann oder ob es nicht in Wirklichkeit einfach nur ein Handel ist, der zwischen zwei Parteien stattfindet: «Wenn Du dies machst, dann mach ich im Gegenzug das.»

«Wenn man Liebe nicht bedingungslos geben und nehmen kann, dann ist es keine Liebe sondern ein Handel, in dem ständig Plus und Minus gegeneinander abgewogen werden.»

Emma Goldmann

Ich verspüre wieder das Bedürfnis mit meiner Familie Kontakt aufzunehmen. Ihnen zu erzählen, was mit unserem geliebten Alaskan Malamute passiert ist, zu weinen und getröstet zu werden. Auch sie hatten viele Jahre lang intensiv Zeit mit ihm verbracht. Er war dort oft zu Besuch.

Und gleichzeitig weiss ich, dass ich das nicht kann. Dass dieser Versuch, genau wie alle anderen in den letzten 2 Jahren, psychisch zermürbend für mich sein würde. Ich bin nicht das, was sie sich vorstellen und deshalb habe ich jedes Recht verwirkt, mit ihnen in Kontakt zu treten oder auch von ihnen kontaktiert zu werden.

Die Tatsache, dass ich für meine Familie bereits wie tot bin, nicht mehr existent, und ich nichts tun kann als nur diesen Umstand anzunehmen, erscheint mir angesichts eines tatsächlichen Todes so absurd, dass ich dafür kaum Worte finde.

Eines Tages werden wir sterben. 

Und manchmal ist man bereits gestorben, obwohl man noch lebt.

Natalie Barth Diary
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4 Comments

  • Margit Ricarda Rolf

    Würde man den Gott der Bibel psychiatrisch begutachten, dann stieße man wohl auf eine narzistische Persönlichkeit.
    Die Anweisungen andere Völker zu überfallen, die Männer zu töten, deren Frauen zu nehmen, Tiere zu töten, das Gold in den Tempel zu bringen und ganze Städte in Schutt und Asche zu legen, weisen auf Machtbesessenheit hin und ein kontrollsüchtiges Wesen.
    Nach Jesus dann ein Sinneswandel dieses angeblichen Gottes, der Liebe erzwingt und jeden negativen Gedanken gegen einen Bruder, sogar gegen einen Feind verurteilt und wieder mit dem Tod droht, wenn man die Kehrtwendung nicht mitmacht.
    Der hassende, mordende Gott ist für mich genauso krank, wie der alles liebende Gott. Ein Gott, der von einem Extrem ins andere fällt?
    Zu einem selbstbestimmten Leben gehört, sich selbst lieben zu können, und zu unterscheiden, wem man seine Zuneigung oder gar Liebe schenken möchte. Den Zwang alle Menschen, besonders aber unsere Brüder lieben zu müssen, auch wenn einige von denen echte Stinkstiefel waren, fand ich unehrlich. Diese Unehrlichkeit und Heuchelei habe ich auch oft in den Versammlungen gespürt. Sie eifern tatsächlich dem Gott nach, dem sie dienen. Widerlich.

    • Natalie

      Liebe Margit
      Das sehe ich auch so, der Gott der Bibel ist ein einziger Widerspruch, narzistisch und alles andere, als das was man von einem Wesen erwarten würde, dass seine Schöpfung kennt oder liebt.
      Mir ging es übrigens ähnlich mit dem “Brüder lieben”. Manche Menschen mag man, manche nicht. Sich selbst zu überwinden und die wahren Gefühle zu unterdrücken, mit Menschen Zeit verbringen, die man als hochgradig unangenehm empfindet und somit die persönlichen Grenzen übergehen, und das dann als “Liebe” bezeichnen, ist schon richtig krank.

  • Gabriele Olmützer

    Liebe Natalie, es tut mir so leid für euch, dass euer geliebter Hund von euch gegangen ist. Ich kann die Trauer gut nachvollziehen, denn auch ich habe schon einige geliebte Fellnasen gehen lassen müssen. Fühl dich lieb umarmt.
    Was du über die Liebe schreibst finde ich sehr schön, genauso empfinde ich es auch. Liebe um der Liebe willen. ❤️ Und weißt du, mir tun die Menschen leid, die das nicht verstehen. Jahrelang haben wir dagegen gekämpft und uns verbogen, weil man dies und jenes nicht durfte, laut der Bibel. Aber es ist falsch und macht die Menschen krank. Und diesen Gott der Bibel kann ich nicht mehr lieben oder glauben. Aber seltsamer Weise habe ich seine grausame Art erst nach meinem Ausstieg richtig erkannt und mich gefragt, wie konnte ich das all die Jahre nur verdrängt haben? Danke für deine offenen Zeilen und Gefühle, sie helfen mir sehr, mit meinem inneren Chaos zurecht zu finden. Danke liebe Natalie und pass gut auf dich auf ❤️

    • Natalie

      Danke liebe Gabi, für Deine Nachricht! Es ist nicht so ganz einfach mit dem Verlust. Die Zeit heilt allerdings ein wenig die Wunde, diese Zeit muss man sich wohl einfach geben. Ich kann an diesen Gott der Bibel ebenfalls nicht mehr glauben. Habe diese Grausamkeiten und Widersprüche nie wirklich an mich rangelassen, als ich dort drin war. Das macht krank, so etwas ständig zu verdrängen und nicht darüber nachdenken zu dürfen. Ich wünsche Dir alles Liebe und ganz viel Kraft auch für Dein “Chaos” in Dir. (kenne dieses Chaos, das manchmal auftaucht, nur zu gut).

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