Natalies Diary
Natalie Barth Zeugen Jehovas
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Im SWR Nachtcafé – Eine Reise in die Vergangenheit

Zum Anhören bitte auf PLAY drücken

Am 20. Januar 2022 war ich zu Gast in einer TV-Sendung, die ich selbst schon oft und sehr gerne angesehen habe: Dem SWR Nachtcafé! Wie es dazu kam und wie ich es erlebt habe und natürlich, wo Du die Sendung ansehen kannst, wenn Du sie verpasst hast, das erfährst Du hier.

10 Tage vor der Aufnahme wusste ich noch nichts von meinem Glück. Dann kam der Anruf von der Redakteurin. Ob ich es mir vorstellen könnte, in einer Folge vom SWR Nachtcafé einen Teil meiner Geschichte zu erzählen. Einen Tag später fand das telefonische Vorgespräch statt. Zwei Tage später dann die definitive Zusage. Ab dann konnte ich keine Nacht mehr wirklich schlafen, bis die Sendung tatsächlich hinter mir lag.

Dazwischen musste ich noch alte Fotos heraussuchen, die man im TV zeigen könnte. Das war für mich ein ziemlich fruchtbarer Tag, denn es hat so viele alte Erinnerungen heraufbeschworen. Als ich dann nach Baden-Baden in Deutschland fuhr, erlebte ich auf der Fahrt dorthin eine Achterbahn der Gefühle. Einerseits freute ich mich darauf, eine Gelegenheit zu bekommen, dort überhaupt dabei zu sein.

Andererseits war ich die Nervosität in Person und fragte mich die ganze Zeit, warum ich eigentlich zugesagt hatte?! Und dann all diese Gefühle, Erinnerungen aus der Zeit, als meine Familie noch mit mir gesprochen hatte, meine Freunde noch Freunde waren und keiner von ihnen den Kontakt komplett abgebrochen hatte. Und wie sich die Dinge seitdem auf gravierende Weise verändert hatten! Wie MEIN LEBEN sich auf gravierende Weise verändert hatte!

Vor und während der Sendung

Ich war so früh dran, dass ich noch einen kleinen Bummel durch Baden-Baden machte, bevor ich in einem wunderschönen Hotel eincheckte, das der SWR organisiert hatte. Dort angekommen verbrachte ich erst einmal eine halbe Stunde in der warmen, gemütlichen Badewanne, um innerlich wieder ruhiger zu werden. Und dann fing ich an mich zu präparieren für diesen besonderen Abend: Haare machen, schminken, anziehen, bevor ich um 16 Uhr von einem Fahrer des SWR abgeholt wurde. Tja, und nun ging alles eigentlich ganz schnell. Im Aufenthaltsraum des Studios lernte ich die anderen Gäste kennen und hätte mich währenddessen mit Essen und Getränken vollfüllen können bis zum Umfallen. Wenn ich nicht so dermassen nervös gewesen wäre, dass ich kaum etwas herunterbrachte. Schade eigentlich um all die guten Sachen!

Maske, Tonprobe etc. und dann plötzlich war es so weit: Die Eingangsmusik des SWR Nachtcafés ertönt und Michael Steinbrecher beginnt seine Einleitung: “Herzlich willkommen im Nachtcafé. Schön, dass Sie da sind.” Wie oft habe ich das gehört und gesehen, nur einfach von der anderen Seite aus?! Und jetzt plötzlich mittendrin, gegenüber dem Moderator, Kameras rundum, grelles Scheinwerferlicht und alles total unwirklich. Natürlich mit einer Nervosität in mir wie zuletzt bei irgendeiner Prüfung, wo es um irgendwas wichtiges ging.

Die Fragen während der Sendung und als ich dann am Schluss auch zu meiner Geschichte direkt befragt wurde, waren doch sehr spontan. Ich wusste Vorhinein einfach grob das Thema, aber nicht was genau man mich letztendlich fragen würde. Auch was die anderen Gäste im Detail erzählen würden, wusste ich nicht. Und genau das machte die ganze Sendung so spannend für uns alle. Natürlich waren auch die anderen nervös. Als nach ca. 90 Minuten das Schlusswort gesprochen, die Kameras die Aufnahme beendet hatten und die Lichter gedimmt wurden, sagte jemanden einen lustigen Satz und wir begannen erst einmal alle zu lachen. Ich glaube, dass es nicht nur mir so ging: Dieses Lachen löste die ganze Anspannung, die sich über mehrere Stunden hingezogen hatte, erst einmal auf.

Nach den Aufnahmen im SWR Nachtcafé

SWR Nachtcafé Wilhelm Schmid
Mit Prof. Dr. Wilhelm Schmid – Foto von Baschi Bender

Das SWR – Team, das uns den ganzen Abend auf so zuvorkommende, menschliche Art und Weise begleitet hatte, verabschiedete sich von uns. Es wurden noch einige Worte gewechselt, auch mit dem Moderator Michael Steinbrecher, der nicht nur vor der Kamera sondern auch hinter den Kulissen ein sehr feinfühliger Mensch ist. Mit den anderen Gästen dieses Abends war ich im Anschluss noch im Hotelrestaurant etwas essen. Wir tauschten uns aus, über dies und das, und liessen diesen sehr emotionsgeladenen Tag zusammen ausklingen.

“Krasser Tag und krasses Erlebnis” – ich glaube, das waren die Worte, die mir sinngemäss im Kopf herumgeisterten, bevor ich vollkommen übermüdet einschlief. Nur um dann um 5 Uhr morgens schon wieder aufzuwachen – mit starken Kopfschmerzen und einem kurzen heftigen Übergeben in die Kloschüssel. “Na bravo! Was ist DAS denn?” Der Hypochonder in mir hatte darauf gleich die passende Antwort: “Krank! Und wer weiss, was Du hast und ob Du in einer Stunde noch fähig sein wirst, Deine Koffer zu packen!?” Zuende gedacht, fing ich sofort an, alles zusammenzupacken, unter permanentem Würgereiz und pochenden Schmerzen. Aufgeregt schrieb ich meinem Mann zuhause, dass es mir total mies ginge und dass ich nicht wie geplant noch ein bisschen durch Baden-Baden strawanzen würde sondern sofort nach Hause fahre. Und natürlich wäre auch das Frühstück für mich gestrichen. Dieses 5*-Hotel-Frühstück, auf das ich mich eigentlich total gefreut hatte.

Wenig später zog es mich doch in den Frühstücksraum. “Ich kann ja einfach mal schauen, was es gibt. Vielleicht tut meinem Magen ein bisschen Essen auch gut?” Und so sass ich um diese “Der frühe Vogel fängt den Wurm”-Uhrzeit allein im Speisesaal des Hotels und tatstete mich mit kleinen Brötchen und Kaffee langsam vor. Tja was soll ich sagen, die angeblich drohende Krankheit verflüchtigte sich im Lauf der folgenden Minuten und später fühlte ich mich so wunderbar, dass ich tatsächlich noch ein wenig in Baden-Baden durch die Gassen lief und den gestrigen Abend nachwirken liess.

Würde ich es wieder tun?

Ich glaube, die Aufregung und der Stress vor der Aufnahme und eigentlich auch die ganze Woche vorher, waren mit so viel Anspannung verbunden, dass diese sich an diesem Morgen danach so körperlich heftig auswirkte. Leichter wurde das erst ein paar Tage nach der Aufnahme und der Ausstrahlung der Sendung im Fernsehen. Für mich war das Ganze eines der eindrücklichsten Erlebnisse seit langem. Ein Erlebnis, dass zwar extrem viel in meinem Inneren aufwirbelte. Das aber auch viel Gutes bewirkte, wie ich durch viele Rückmeldungen von ebenfalls Betroffenen erfuhr, die die Sendung dann einen Tag später sahen. So viele Ex-Zeugen Jehovas erleben diesen Kontaktabbruch , von dem ich in diesem Talk sprach, mit ihrer Familie, ihren Freunden, ihrem kompletten sozialen Umfeld! So viele!

Wie bekannt ist denn das in der Öffentlichkeit?

Und wie bekannt ist das, was dieser Abbruch an seelischem Schmerz auslöst? Wieviele Jahre die Betroffenen mit den Folgen leben müssen?

Natalie Barth nataliesdiary SWR Nachtcafé
Während der Sendung – Foto von Baschi Bender

Ich weiss eines ganz sicher: Ich würde es wieder tun! Egal wieviel ich danach in die Kloschüssel kotzen muss, weil ich so nervös bin. TV-Auftritte werden auch in Zukunft ganz sicher nicht zu meiner bevorzugten Freizeitbeschäftigung gehören.

Wer das erfährt, was Aussteiger mit ihren engsten Beziehungen erleben müssen, wird die Zeugen Jehovas hoffentlich nie wieder in die Kategorie “schräg, etwas weltfremd, aber ungefährlich” einordnen.

Eine Organisation, die Religionsfreiheit einfordert, aber ihren eigenen Ex-Mitgliedern diese Freiheit nicht zugesteht, sondern sie auf menschenunwürdige Weise ächtet, und dies auch von ihren aktiven Mitgliedern verlangt, hat ebendiese Religionsfreiheit in keinster Weise verdient. Und das werde ich solange in die Welt rausplärren, bis es auch der letzte hinter dem Mond kapiert hat.

Ja, ich werde emotional bei diesem Thema. Weil ich selbst betroffen bin. Und weil ich wöchentlich Zuschriften bekomme, in denen mir Aussteiger ihre persönlichen Erfahrungen mit ebendiesem Kontaktabbruch oder anderen Folgen schildern. Ein Einzelfall bin ich bei weitem nicht. Es sind immer mehr, die ihre Erfahrungen öffentlich machen. Und es werden noch viele viele folgen, da bin ich sicher. Für Euren Mut bedanke ich mich schon jetzt bei Euch!

Allen selbst Betroffenen möchte ich einfach sagen: Du bist nicht allein! Wir sind viele!

Ach ja, wie kamen die überhaupt auf mich? Schon vor 1,5 Jahren meldet sich jemand vom SWR Nachtcafé bei mir, aufgrund meiner YouTube-Videos, in denen ich sehr offen mit dem Ausstiegsdrama umgehe. Allerdings kam die Anfrage per Email. Als ich diese erst Stunden später las und mich meldete, war ich schon zu spät dran: Sie hatten jemand anderen für diese Sendung gefunden. Im Jahr darauf, meldet sich wieder eine Redakteurin, allerdings funktionierte der Zeitpunkt für mich nicht und ich sagte ab. Damals dachte ich mir noch: “Super, ein drittes Mal kommen die sicher nicht auf mich zu. Soviel Dusel kann man gar nicht haben.”

Tja, kann man doch! Aller guten Dinge sind wohl immernoch Drei 🙂

Das SWR-Nachtcafé kannst Du hier ansehen:

“Ob eine alte Affäre, ein unverarbeitetes Trauma oder eine eigentlich längst verheilte Erkrankung – die Vergangenheit lässt sich oft nicht einfach abschütteln. Stattdessen wirft sie einen langen Schatten und bestimmt unser Handeln bis in die Gegenwart.”

Die langen Schatten der Vergangenheit – ARD-Mediathek

Auf YouTube

Infos zu den anderen Gästen und zur Sendung auf dem SWR:

Dr. Elfriede Mohr-Frei, Maik Handlos, Nora Hespers, Sandra Hlusiak, Prof. Dr. Wilhelm Schmid

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