Natalies Diary
Natalie Barth Coaching
Gedanken,  Sekte

Selbstwertgefühl: Was bin ich mir eigentlich selbst wert?

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So wird MEIN Selbstwertgefühl auf die Probe gestellt: Immerwieder einmal erhalte ich Kommentare von Menschen, die in Frage stellen, wieso ich Geld für meine Arbeit verlange. Ihrer Meinung nach sollte ich meine Dienstleistung, bei der ich anderen helfe, mit belastenden Umständen oder schwierigen Entscheidungen umzugehen, kostenlos anbieten. Ich würde Profit aus der Not anderer Menschen machen. Im ersten Moment bin ich immer total perplex und frage mich, wie man dazu kommt, eine wildfremde Person aufzufordern, sie solle ihre Arbeit kostenlos machen.

Mir fallen dann Argumentationen ein, wie „Arbeitet Dein Arzt auch umsonst für Dich?“ „Forderst Du den Schlüsseldienst auch auf, Deine Notsituation nicht auszunutzen und Dir die Haustür kostenlos aufzusperren?“ „Arbeitest Du selbst auch umsonst? Von was genau bestreitest Du dann Deinen Lebensunterhalt?“

All das ist aber nebensächlich, ich führe solche Diskussionen nicht mehr. Interessant sind für mich allerdings zwei sehr auffällige Punkte.

Selbstwertgefühl und Zeugen Jehovas

Erstens: Diese Aufforderung erhalte ich ausschliesslich von Zeugen Jehovas oder ehemaligen Zeugen Jehovas, manchmal noch von Aussteigern anderer religiös fanatischer Gruppen. Für Menschen, die nie etwas damit zu tun hatten, stellt sich die Frage gar nicht, ob ich meine Dienstleistung als Wegbegleiterin, Coach und Therapeutin kostenlos anbiete. Wieso auch?

Zweitens: Warum machen mir solche Kommentare überhaupt etwas aus? Wieso kann ich in dem Moment nicht einfach weiter machen und mir denken: „Spinner und Schmarotzer!  Solche Leute will ich eh nicht in meiner Praxis.“? 

Ich habe festgestellt, dass der erste Punkt auch die Grundlage für den zweiten Punkt ist. Als Zeuge Jehovas lernt man von klein auf, Geld negativ bis allenfalls neutral anzusehen. Geld und Reichtum anzustreben, wird als verurteilenswert oder zumindest hinderlich auf dem Weg zu Gott dargestellt. „„Die Geldliebe ist eine Wurzel von schädlichen Dingen aller Arten, und indem einige dieser Liebe nachstrebten, . . . haben [sie] sich selbst mit vielen Schmerzen überall durchbohrt“ (1. Timotheus 6:10 – Die Bibel). 

Geld und Reichtum – geht ja mal gar nicht!

Geld und Reichtum kann man in dieser religiösen Gemeinschaft zwar haben, aber man darf beides nicht ANSTREBEN und schon gar nicht lieben. Wenn es einem leicht in den Schoss fällt, ohne Anstrengung und grossen Zeiteinsatz, dann ist das okay. Eine Erbschaft zum Beispiel ist super, da musste man ja überhaupt nichts dafür tun. Oder wenn man schon reich ist und dann zur Organisation der Zeugen Jehovas konvertiert, ist dieser Reichtum ebenfalls herzlich willkommen. Besonders für die Spendeneinnahmen.

Immerwieder wurde darauf hingewiesen, dass Geld und Reichtum nicht glücklich machen, im Gegensatz zum Dienst für Jehova und die Organisation. Eine Karriere zu verfolgen, einen lukrativen Job anzunehmen, hart zu arbeiten, um sich Wohlstand aufzubauen – nein, das ging nun wirklich zu weit. Bitte nur den nötigsten Lebensunterhalt verdienen, gerade so dass es für Dich selbst und für die Spenden an die Organisation reicht!

Die Schmarotzer-Mentalität

Zusätzlich habe ich eine absolute Schmarotzer-Mentalität innerhalb der Organisation erlebt. «Wir sind doch Brüder, da hilft man sich doch kostenlos! Oder zumindest verlangt man von Brüdern weniger als von Weltmenschen!» Mein Mann zum Beispiel ist ein richtiges Computer-Genie, geradezu ein «Computer-Flüsterer». Das blieb natürlich nicht unbemerkt. Er verbrachte Stunden um Stunden damit, die PCs der Glaubensbrüder wieder auf Vordermann zu bringen. Mehr als ein Dankeschön kam da selten zurück. Irgendwann stellte er diesen Dienst ein bzw. sagte, was sein Stundenlohn sei. Das wurde leider sehr übel aufgenommen.

Es wurde tatsächlich erwartet, dass man– egal welche Profession man ausübte – kostenlos oder vergünstigt für die Brüder und Schwestern zur Verfügung zu stehen hatte. Ganz besonders auch deshalb, weil viele einfach nur das Lebensnotwendigste verdienten und sich die Dienste, die sie in Anspruch nehmen wollten, nicht leisten konnten. Dieser Umstand war natürlich von den meisten selbst erschaffen, weil sie ja nicht mehr verdienen WOLLTEN, sich ein Leben in Wohlstand nicht erarbeiten WOLLTEN.

Erwarten Schmarotzer

Ich habe das genauso gemacht. Nach meiner Lehre nahm ich sofort den Pionierdienst* auf und arbeitete nur noch halbtags. Ich konnte meinen Lebensunterhalt bestreiten, Geld spenden und ein wenig auf die Seite legen, um Urlaub zu machen. Grosse Sprünge oder wenigstens eine vernünftige Rücklage fürs Alter waren so natürlich nicht drin. Aber Armageddon (der grosse Krieg Gottes) kam ja sowieso bald. Ansonsten würde Jehova schon dafür sorgen, dass ich irgendwoher Geld fürs Leben bekam. Und wenigstens hatte ich ein gutes Gewissen und das Gefühl, dass ich alles für Gott – das WIRKLICHE Glück – tat. 

Selbstwertgefühl und Schuldkomplex

Hätte ich mich für eine Karriere engagiert, Ausbildungen und Weiterbildungen gemacht, dann wäre das mit grossen Schuldgefühlen verbunden gewesen. Schuldgefühle hatte ich aber sowieso schon genug, da wollte ich mir nicht noch mehr aufhalsen.

Schuldgefühle sind das, was mich ein Leben lang, von klein auf begleitete. Tu ich genug für Gott? Müsste ich nicht noch mehr tun? Bin ich wirklich ein guter Christ? Bin ich tatächlich selbstlos und selbstgenügsam? Habe ich wirklich alle bösen Gedanken und Gefühle aus meinem Kopf und meinem Leben verbannt? Arbeite ich auch hart genug an mir? Natürlich machte ich jeden Tag Fehler in dieser Hinsicht. Also häufte ich neue Schulden bei Gott auf, die er mir nun gütigerweise vergeben musste.

Karriere Ausbildung

Dass solch eine Lebensweise nicht gerade förderlich für ein gesundes Selbstwertgefühl ist, liegt auf der Hand. MEIN Selbstwert, den Wert, den ich mir, meiner Person, meiner Arbeit, meinem Einsatz, meinem Leben beimass, war «unter aller Sau». Und das verbesserte sich auch nicht schlagartig, als ich diese Organisation endlich verliess. Es dauerte viele viele Jahre, in denen ich endlich Ausbildungen und Weiterbildungen machte, mich für einen Beruf entschied, der mir Freude brachte und in dem ich meine Talente und Vorzüge auch ausleben konnte. Zeit, in der ich lernte, dass ständige Selbstkritik eher hinderlich ist, um ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen. Und dass mein Wert als Mensch nicht von meiner Leistung oder von der Anerkennung anderer Menschen oder sogar Gott abhängt.

Mein eigenes Selbstwertgefühl

Da gibt es jedoch immernoch etwas, an dem ich dran bin und was die Erklärung ist für meine eingangs gestellte Frage: «Warum machen mir solche Kommentare überhaupt etwas aus?». 

Welchen Wert gebe ich selbst meiner Arbeit für und mit anderen Menschen? Wie wertvoll sind in meinen eigenen Augen meine Zeit, meine Energie, meine finanziellen Mittel, meine Erfahrung, mein Wissen, meine Ausbildungen auf diesem beruflichen Gebiet? 

Dass sich immerwieder Menschen auf meine Seiten und Videos verirren, die noch ein unbewusstes Problem mit ihrem eigenen Selbstwert haben bzw. die Schmarotzermentalität und die Opferhaltung eines Sektenmitglieds ausleben, zeigt mir etwas sehr Entscheidendes. 

Ich bin dankbar dafür, dass ich von wildfremden Menschen in Frage gestellt werde. Okay, ich gebe zu, im ersten Moment nicht. Da möchte ich diese Leute einfach nur schütteln und sie bitten, ihre festgefahrenen, erlernten Glaubensmuster gründlich zu hinterfragen. Aber nach einer kurzen Grübelphase, fällt mir auf, dass diese Menschen etwas aussprechen, das ich selbst noch nicht vollständig verinnerlicht habe: Meine Arbeit ist wertvoll. Sehr wertvoll. Ich bin es mir wert, genauso wie ein Arzt oder ein Schlüsseldienst oder jeder andere, der einen helfenden Beruf ausübt, für meinen Einsatz Geld zu verlangen. Ich muss mich dafür auch nicht rechtfertigen. Dass ich es dennoch tue, zeigt mir, dass ich zu lange in dieser Organisation war und es eben seine Zeit braucht, bis auch der letzte Funke von «ungesunder Selbstkritik» und «den eigenen Wert herunterspielen» erloschen ist.

Geld und Erfolg – Wie steht es da um das Selbstwertgefühl?

Ein gesundes Selbstwertgefühl zeigt sich nicht zuletzt im Thema Geld und Finanzen. Selbst wenn ich in einem Betrieb angestellt bin, verlange ich einen Gegenwert für meine dort geleistete Arbeit. Manchmal muss ich über mich selbst lachen, dass mich solche Kommentare überhaupt noch aus dem Konzept bringen. Weil es so dermassen absurd ist, wie sich diese fast immer anonymen Schreiber verhalten.

Coaching Natalie Barth

Ich weiss nicht mehr wieviele Stunden, Tage, Wochen ich bereits tatsächlich kostenlose Videos machte, Emails und Nachrichten beantwortete, persönliche Gespräche führte. Alles für Menschen, die sich dadurch verstanden, in ihrem Schmerz ernst genommen und unterstützt fühlten. Ich tue das gerne und freue mich, dass ich etwas geben kann und meine blöde Vergangenheit dadurch einen Sinn bekommt. Und darum versetzt es mich in Erstaunen, wenn ich dann von mir völlig unbekannten Personen die entrüstete Frage gestellt bekomme, wieso ich das, was ich generell anbiete und arbeite – mein Beruf also – nicht zusätzlich noch kostenlos mache.

Alte Ansichten und Glaubenssätze hinterfragen

Wenn ich mir dann klar werde, von welcher Art Mensch diese Vorwürfe kommen, ist es allerdings auch wieder verständlich. Wenn man aussteigt, hat man die über Jahrzehnte eingetrichterte Sektenmentalität nicht automatisch abgelegt. Die Ansicht über Geld und Erfolg – Geldverdienen, erfolgreich im Leben und Job sein, etwas für Geld tun, Reichtum, Wohlstand, wie sehe ich Menschen an, die viel Geld haben oder viel Geld für ihre Arbeit verlangen – hat sehr direkt etwas damit zu tun, welchen Wert ich mir selbst beimesse. Ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen ist so essentiell, wenn man die Vergangenheit verarbeiten möchte. All die alten Glaubenssätze und Ansichten über das Leben müssen nach so einem Ausstieg gründlich hinterfragt werden.

Sich selbst wertschätzen, sich selbst einen gesunden und guten Wert beimessen, gut über sich selbst denken und sprechen: Für mich stellt genau das eine der grössten Herausforderungen aber auch einen der mächtigsten Wege zu einem wirklich befreitem Leben dar. 

*Pionierdienst: Damals musste man für dieses erstrebenswerte «Vorrecht» jeden Monat 90 Stunden aufwenden. Die Zeit wurde für das Missionieren eingesetzt.

Mehr zum Thema Selbstwert:

Wie man das Selbstwertgefühl stärken kann: Hier findest Du einige Tipps und Inspirationen für Dich

“Nehmen wir die Subjektivität des Selbstwertes als Chance! Man selbst entscheidet über den eigenen Wert.” Quelle und mehr dazu: Innere Stärke

“Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl leben Ihr Leben und nicht das Leben, was andere (z.B. Eltern, Partner, Arbeitgeber) oder äußere Umstände Ihnen versuchen vorzuschreiben. ” Quelle und mehr dazu: Ratgeber-Lifestyle

2 Comments

  • Ash-Li

    Das liebe Geld… 😀 – Geld ist nichts Schlechtes. Es ist einfach eine Energie, weder gut noch schlecht. “Schlecht” oder “gut” kann nur sein, was die MENSCHEN damit machen. Aber man gibt ja gerne die eigene Verantwortung ab. 😉

    Das Problem, dass Du da hast, liebe Nathalie, ist auch in spirituell-esoterischen Kreisen schmerzlich bekannt. Wenn Du lange genug auf diesem Gebiet gearbeitet hast und “berühmt” bist, stellt niemand mehr in Frage, ob die erbrachte Leistung “bezahlungswürdig” ist. Aber bis dahin ist es ein harter und steiniger Weg.
    Es geht immer um den “Ausgleich der Energien” – wie in allem im Leben. Es soll sich alles die Waage halten. Also ist es in meinen Augen gerechtfertigt, Geld für seine Leistung zu verlangen. Das kann auf Spendenbasis oder eben auf einem festgesetzten Stundensatz geschehen.

    Alles ist gut. 🙂

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