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Natalie Barth Diary
Sekte

“Weltliche” Jungs – Das Dilemma einer Zeugin Jehovas

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Ganz oft geht es in meinen Tagebüchern als Teenager und die sogenannten “Weltlichen” oder “weltliche Jungs”.

Tagebucheintrag vom 3.Juli 1992:

«Am Dienstag war ich mit Andrea* im Schwimmbad. Ein Junge (Alexander T.*) war auch da. Andrea kannte ihn, denn er wollte mal mit ihr gehen. Er ist sauhübsch (braungebrannt, blonde Haare, blaue Augen). Er hat mit uns ständig geflirtet, ständig hergeschaut und gegrinst. 

Heute war er wieder da. Er hat mich von hinten erschreckt. Später kam er und hat mit uns gequatscht. Als er auf dem 5-Meter-Turm stand, schauten wir zu und er grinste runter und so. Dann, als ein paar 7.-Klässler uns vollspritzten, hat er sich zurückgezogen und überhaupt nicht mehr hergeschaut. Er hat wohl gemeint, dass wir mit jedem rummachen. Hoffentlich ist er morgen wieder im Schwimmbad, dann können wir ihn fragen, was er hat.

Abends sind Andrea und ich in Bobingen mindestens 10 Mal an seinem Haus vorbeigelaufen. Er ist übrigens erst 14. Man, der hat geschaut, als ich ihm sagte, ich wäre fast 15!»

Der Weltliche – wer ist das?

Diese Story mag für ein normal aufwachsendes Mädchen eine ganz gewöhnliche Teenagergeschichte sein. Als eine Zeugin Jehovas durfte ich aber eigentlich keinen «weltlichen» Freund haben. Der Weltliche ist übrigens einfach jemanden, der NICHT zu den Zeugen Jehovas gehört, also der überwiegende Teil der Menschheit. Ich sollte auch alles unterlassen, was irgendwie in die Richtung einer Freundschaft geführt hätte. Zudem war ich mit 14 natürlich auch viel zu jung, um mich für das andere Geschlecht zu interessieren. Ein fester Freund, so wurde es offiziell propagiert, war erst möglich, wenn ich im heiratsfähigen Alter wäre. Flirten war ausserdem überhaupt nicht vorbildlich und christlich.

«Also, bitteschön, Natalie, unterdrücke Deine Gefühle und tu so, als würde Dich das ganze Mädchen-Jungs-Ding nicht interessieren. Und bitte, geh den gesamten weltlichen Menschen aus dem Weg, sie sind kein guter Umgang für Dich!» Das war nun die eine Sache, die man mir versuchte einzutrichtern. Eine ganz andere Sache war es, wie ich wirklich fühlte und wie sehr ich mich immer an diese Grenze heranzutasten versuchte, wie weit ich gehen konnte, ohne dass etwas passierte.

Vielleicht war ich frühreif? Oder einfach ganz normal – nur nicht für die Zeugen Jehovas? Wer weiss. Jedenfalls war ich bereits in diesem Alter sehr vom anderen Geschlecht fasziniert – egal ob der auserwählte Junge zu den Zeugen Jehovas gehörte oder ein «Weltlicher» war.

Das Tagebuch

Weil ich ja aber nicht wirklich DURFTE und immer wieder in den «Unterdrückungsmodus» meiner Gefühle fiel, wurde das ganze mit der Zeit zu einer Art Obsession. Ich glaubte damals immer recht schnell, ich wäre bis über beide Ohren verliebt. Nur um dann zwei Wochen später festzustellen, dass ich mich in einen anderen «verliebt» hatte. Das andere Geschlecht wurde für mich zum Kick, den ich brauchte, um das starre Zeugen-Jehovas-Kostüm irgendwie ein bischen aufzupeppen. Und Weltliche waren dafür am besten geeignet.

Was ich als Teenager erlebte, wie das genau aussah und was da so alles in mein Tagebuch Einzug fand, darüber möchte ich Euch immer mal wieder einiges erzählen. Ich nehme Euch hier auf eine manchmal ganz normale und manchmal sehr skurril anmutende Reise ins Reich eines Sektenkindes mit.

Wie es damals mit Alexander und Andrea (die übrigens auch zu den Zeugen Jehovas gehörte) weiterging, erfahrt Ihr im nächsten Teil.

*Namen wurden geändert.

Inspirationen und Empfehlungen zusätzlich
Bücher, Webseiten, Videos

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